Nur was uns berührt, kann uns verändern: Was ist körper­orientiertes Coaching?

Der Körper als Ausgangspunkt für persönliches Wachstum

Moritz Oesterlau
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Kurzfassung: Körperorientiertes Coaching betrachtet den Körper als zentralen Bestandteil persönlicher Entwicklung. Dabei stehen die Regulation des Nervensystems und das Wiedererlangen eines subjektiven Empfindens von Sicherheit im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ansätzen, die vor allem den Verstand in den Fokus stellen, werden so häufig tiefere und nachhaltigere Veränderungen ermöglicht und die Fähigkeit zur Selbstregulation wird gestärkt.

Du kannst dir den Artikel auch von mir vorlesen lassen:

Die Rolle des Körpers

Weshalb der Körper kaum eine Rolle in Coaching & Therapie spielt, wird mir ein immer größeres Rätsel. Schließlich ist er die erste Wahrnehmungsebene, die wir kennenlernen und über die wir unsere Innen- und Außenwelt erfassen.

Unser Körper wird gehalten, umarmt, gestreichelt, gewiegt, geküsst, gewärmt und genährt. So entstehen im besten Fall erste Erfahrungen von sicherer Verbundenheit. Bevor wir sprechen lernen, ist er unsere einzige Möglichkeit, uns auszudrücken und eine Verbindung zu anderen herzustellen. Mit ihm kommunizieren wir Bedürfnisse und Grenzen.

Auch unsere spätere Sprache ist nur so durchdrungen von körperbezogenen Redewendungen:

  • Wir bleiben standhaft, tragen etwas mit uns herum oder es sitzt uns im Nacken.
  • Wir begreifen etwas, haben Schiss, es schlägt uns auf den Magen oder wir bekommen kalte Füße angesichts einer Herausforderung.
  • Wir nehmen das Herz in die Hand, wenn wir mutig sind, und zerbrechen uns den Kopf über Probleme.
  • Manche Dinge gehen uns unter die Haut oder sind schwer verdaulich, während andere uns die Haare zu Berge stehen oder Schmetterlinge im Bauch fliegen lassen.

Alice Miller schrieb: „Der Körper ist der Hüter unserer Wahrheit.“ Wir können analysieren und mit Theorien und Interpretationen um uns werfen wie wir wollen, der Körper bleibt die höchste Autorität, an der wir erfahren, was für uns wahr und falsch, was stimmig ist oder nicht.

  Übung: Sprich einmal einen Satz aus, von dem du überzeugt bist, dass er auf dich zutrifft. Das kann ein positiver oder negativer Glaubenssatz sein. Spür nach, wie dein Körper dir durch eine subtile Resonanz mitteilt, ob die Aussage für dich wahr oder falsch ist. Wie spürst du diesen Beweis in dir, dass der Satz stimmt? Genauso kannst du es auch mit einem Satz ausprobieren, der so gar nicht deinem Selbstbild entspricht. Werd neugierig mit der Antwort und Sprache deines Körpers.

Und plötzlich soll der Körper lediglich ein meist lästiges Anhängsel sein, das vom Kopf herunterbaumelt und Probleme macht. Wie eine Maschine hat er zu funktionieren und wird im Falle einer Störung oder Unansehnlichkeit fix repariert und korrigiert. Unsere allgemeine Kontrolliert- und Verkopftheit zeigt, wie wenig wir uns noch in ihm zuhause fühlen und ihn als einen sicheren Ort erleben.

Schauen wir uns herkömmliche Ansätze in Therapie & Coaching an, konzentrieren sich diese vorwiegend auf Denkmuster, Glaubenssätze und Strategien zur Zielerreichung – sprich, primär auf den Verstand. Gefühle sind zwar mit im Boot, werden tendenziell jedoch intellektualisiert: Das Gefühl als abstraktes Konzept, das zwar einen Namen erhält, dabei jedoch nicht in seinen feinen Nuancen erfasst wird. Irgendwie besteht Kontakt und irgendwie auch gar nicht.

Der Verstand spielt eine wichtige Rolle, keine Frage. Beschränken wir uns jedoch auf ihn allein, wird nur ein kleiner Teil des uns zur Verfügung stehenden “Erfahrungsraumes” genutzt, der unser Sein lebendig und lebenswert werden lässt.

Denn wer wir waren, sind und werden wollen kann nicht herbei gedacht werden. Nur das, was uns berührt und Verkörperung erlangt, verändert nachhaltig unser Fühlen, Denken und Handeln – wie wir uns auf uns und die Welt beziehen. Wie Hermann Hesse schrieb: „Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.“

Unser Problembewusstsein entspringt dem Körper

Und schauen wir genau hin, suchen wir in Coaching & Therapie tatsächlich keine Unterstützung, weil wir anders denken wollen: Wir wollen anders leben, anders fühlen, etwas anderes verkörpern. Ein Gedanke ohne ein damit verbundenes Gefühl ist unbedeutend: Wir können absolut alles denken, aber das Denken allein macht es noch nicht zum Problem.

Unser Problembewusstsein entspringt dem Körper: Erst das dazugehörige Gefühl und dessen Lebendigsein, durch das es real, spür- und greifbar wird, gibt dem Gedanken sein Gewicht und seine Bedeutung. Wenn du in der obigen Übung deinen stimmigen und unstimmigen Sätzen nachgespürt hast, wirst du bereits eine erste Idee davon bekommen haben.

Verstand und Körper sind somit nicht voneinander zu trennen und wirken immer gemeinsam. Man könnte sogar die Vermutung aufstellen, Gedanken entsprängen dem Körper und sind ein Teil seines Ausdrucks. Vielleicht müssen wir unsere Definition des Körpers dabei sogar gänzlich umdenken. Der Zen-Meister Shunryu Suzuki schrieb:

„Wenn du meinst, dein Körper und Geist seien zweigeteilt, dann liegst du falsch. Wenn du meinst, sie seien eins, liegst du ebenfalls falsch. Unser Körper und Geist sind gleichzeitig zwei und eins.“

…und somit ein wunderbares Mysterium, das es zu erkunden gibt.

Der Körper als Ausgangspunkt für persönliche Entwicklung

Im Rahmen persönlicher Entwicklung körperorientiert zu arbeiten bedeutet also, den Körper als Erfahrungs- und Resonanzraum für das jeweilige Lebensthema und diese Resonanz als Ausgangspunkt für Veränderungsprozesse zu nutzen, z.B. um mentale und emotionale Blockaden zu lösen.

Anstatt dass wir uns auf Gedanken und Gefühle beschränken, wenden wir uns vor allem der Ebene dahinter zu: Dieses subtile Erleben, welches zwar irgendwie spürbar ist, aber noch wie gänzlich undefiniert scheint. Ein vages Empfinden, das eine ungefähre Tendenz, aber noch kaum eine konkrete Form hat. Und dabei doch unser wohl klarster Beweis dafür ist, dass etwas nicht stimmt und so nicht bleiben kann. Man könnte vielleicht sagen, dies ist das Unterbewusste.

Genau in dieser Erfahrung kann sich entwickeln, was zuvor noch nicht bekannt war – es entsteht etwas Neues. Der Philosoph und Professor für Psychotherapie Eugene Gendlin nannte dies den „Rand des Erlebens“: Ein inneres Erleben, für das uns (noch) die Worte fehlen. Im mitfühlenden und neugierigen Kontakt jedoch kann es sich immer weiter mitteilen und formulieren; „die in sich implizierten Schritte gehen“, wie Gendlin es sagen würde.

Was können wir uns darunter vorstellen?

Es können offensichtlich körperliche Empfindungen sein wie z.B. das Drücken im Magen oder der Kloß im Hals. Auch Handlungs- und Bewegungsimpulse können eingeladen und neugierig erforscht werden: die Beine, die rennen wollen, die Fäuste, die sich ballen, der Kiefer, der zusammenbeißt und die Schultern, die nach oben ziehen. In ihnen zeigen sich noch nicht abgeschlossene Handlungsimpulse.

Gehen wir diesen nach, zeigen sich Bedürfnisse und Grenzen, die zuvor verdeckt blieben. Das Implizite wird explizit und es entsteht neuer Handlungsspielraum.

  Beispiel: Eine Klientin spürte, dass sich eine ihrer Schultern verspannte und nach oben zog, wenn sie sich ihrem Thema zuwendete. Diesem Hochziehen gingen wir bewusst und langsam nach und schauten „wo die Schulter hin möchte“. An einem bestimmten Punkt blieb sie stehen: „Hier weiß meine Schulter irgendwie nicht mehr, wohin sie soll – da ist komplette Hilflosigkeit.“ Diesem Bedürfnis nach Halt und Sicherheit konnte sich nun zugewandt werden.

Aber auch innere Bilder können sich zeigen und ihre Bedeutsamkeit offenbaren:

  Beispiel: Ein Klient beschrieb, dass er seinen Körper generell kaum spürte – nur im Bauch, da spielten sich gewöhnlich alle Emotionen ab. Diese machten sich durch ein dumpfes Drücken bemerkbar. Beim Erforschen dieser noch recht vagen Empfindung sagte er, „es fühlt sich so an, als würde dort so etwas wie ein Besenstiel hineindrücken… der ist aus Holz…“ Im weiteren Verlauf wandelte sich der hölzerne Besenstiel zu einem spitzen, metallenen Objekt und dann zu einem Angelhaken, welcher unter den Brustkorb stach und seinen Oberkörper nach oben zog. Im inneren Erleben am Haken hängend kam das Gefühl hoch, ausgeliefert zu sein und funktionieren zu müssen. Da war kein Raum für eigene Entscheidungen, Bewegungen, Wünsche; lediglich ein Ausführen, wie fremdgesteuert. Das am Haken hängen – wie eine Marionette – war Ausdruck dafür. Den dahinter liegenden unerfüllten Bedürfnissen, geprägt von der Unsicherheit, ganz er selbst sein zu dürfen, konnte nun begegnet werden. Langsam kam wieder mehr Bewegung hinein.

Zurück zur gefühlten Sicherheit

Hierbei zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt: Das subjektive Empfinden von Sicherheit. „Ich darf so sein, wie ich bin, werde gesehen und gehalten.“ Man könnte meinen, jedes unserer vermeintlich problematischen Muster ist in Wirklichkeit ein gescheiterter Lösungsversuch. Das tatsächliche Problem ist das fehlende subjektive Empfinden von Sicherheit. Das, was wir dann später Problem nennen, ist der Versuch, dieses Gefühl der Sicherheit wieder herzustellen – nur leider ohne Erfolg.

Teste es mit einem deiner Themen: Mal vorgestellt, alles würde sich komplett sicher anfühlen, gäbe es überhaupt noch ein Problem? Wahrscheinlich würdest du intuitiv verbunden mit dir und anderen sein und entsprechend klar handeln.

Die Psychotherapeutin Deb Dana taufte dieses Prinzip „story follows state“: Der Zustand unseres Nervensystems bestimmt, wie wir die Welt erleben – und somit, welche „Geschichte“ über uns und andere wir für real halten. Das dumpfe Drücken im Bauch aus dem obigen Beispiel war übrigens das Nervensystem, welches sich in Form von Dysregulation und Spannung, mitgeteilt hat.

Dieses Empfinden von Sicherheit lässt sich ebenfalls nicht herbei denken. Der Versuch, es rational zu besänftigen, kann sogar nach hinten losgehen – und zwar wenn wir damit der Realität unseres Körpers entkommen wollen. Das findet sich z.B. oft beim Konzept der positiven Affirmationen bzw. des positiven Denkens. Dieses wird destruktiv und blind, sobald es genutzt wird, um die Schwere und das Unangenehme nicht mehr spüren zu müssen. Der Konflikt wird dadurch nicht gelöst, sondern weggedrückt und sich aus dem Kontakt gewunden. Somit bleibt es bestehen. Jeder Druck erzeugt Gegendruck.

„Ein Gefühl von Sicherheit lässt sich nicht herbei denken.“

Ziel ist es also, zu üben, sich immer besser auf sich und das körperliche Erleben einzustimmen. Dabei immer wacher zu werden für die feinen Nuancen, Bedeutungen und wie sich Bedürfnisse & Grenzen ausdrücken. Und auch zu spüren, was es braucht, um ein Gefühl der Sicherheit wieder herzustellen. So stärken wir die Fähigkeit zur Selbstregulation des Nervensystems und somit unsere Resilienz.

Die aus solch einem Prozess gewonnenen Erkenntnisse sind nicht Ergebnis trockener Analyse, sondern entspringen der gelebten Erfahrung. Diese lebendige Erkenntnis ist spürbar und bewegt uns. Und nur was uns berührt, kann uns nachhaltig verändern. Denn das Maß an Berührung ist das Maß an Bedeutung; und was bedeutsam ist, ist wichtig und formt unser Sein. So könnten wir meinen, unser Sein ist die Gesamtheit verkörperter Erfahrung.


Es gäbe auf mehreren Ebenen noch sehr viel mehr zu diesem Thema zu schreiben, aber ich möchte es erst einmal bei dieser Einführung belassen.

Wenn du lernen möchtest, dich besser auf deinen Körper einzustimmen und gemeinsam neugierig werden magst, welche Weisheit und Lösungen er bereits in sich trägt, trage dich gern für ein Kennenlerngespräch ein und wir schauen, ob die Chemie stimmt und wie ich dich mit deinem Thema körperorientiert, sanft & mitfühlend begleiten kann.

Disclaimer: Ich bin weder Arzt noch Psychotherapeut. Alle Angaben stammen aus meiner jahrelangen Recherche zu psychologischen Themen und diversen Fortbildungen und sind mit bestem Wissen und Gewissen erstellt. Solltest du Fehler entdecken, melde dich gern bei mir: kontakt@feelthatshift.de
Über den Autor

Moritz Oesterlau

Im 1:1 Coaching und in Workshops begleite ich Menschen zurück in den echten Kontakt und in eine liebevollere Beziehung zu sich selbst. Dabei schlage ich die Brücke zwischen Psychologie, Neurobiologie und östlichen Philosophien. Traumasensibel & undogmatisch.

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