Die wahre Natur des inneren Kritikers

Aufgeschlagenes Buch
Alternativ Zum Lesen

Der sogenannte innere Kritiker kann sich nicht nur in Form von Gedanken zeigen, sondern auch in Gefühlen wie Scham und Angst, als Zurückhaltung, Antriebslosigkeit, depressive Tendenz oder auch als schreckliche oder resignierte Zukunftsprognose. Dabei meldet er sich in Ich- oder Du-Form: »Ich kann das nicht« oder »Du kannst das nicht«.

Wir glauben diesen Gedanken gern, schmeißen bereitwillig das Handtuch und – wäre das nicht schon genug – beschuldigen uns obendrein dafür, dass wir irgendwie »kaputt sind« und nicht vorankommen. Die kritische Stimme hat sich somit bewahrheitet und unser Glaubenssatz sich bestätigt. Autsch!

Aber warum gibt es diesen inneren Kritiker eigentlich? Selbstzweifel erfüllen eine wichtige Funktion. Und erst, wenn wir das erkennen, finden wir aus ihnen heraus.

Ich bin überzeugt davon, dass es nichts in uns gibt, das mit dem alleinigen Ziel “böse zu sein” da ist. So destruktiv, erniedrigend und harsch diese Stimme des inneren Kritikers manchmal auch klingen mag, steckt hinter ihr meist eine Sorge oder Angst – etwas Hilfloses, das unserer Aufmerksamkeit und Zuwendung bedarf. 

Große Angst und Sorge kann sich als Wut und Aggression tarnen. Stell dir vor, ein Kind rennt auf die Straße und die Mutter oder der Vater wird so richtig sauer: »Pass doch mal auf! Das machst du nie wieder, hörst du!? Wenn ich das noch einmal sehe, dann…!!«. Dahinter steckt natürlich die Sorge, dass dem Kind etwas passieren könnte. Und genauso verhält es sich mit unserem inneren Kritiker.

Achte mal darauf: Zeigt er sich nicht in genau den Momenten, in denen du an den Rand deiner Komfortzone trittst? Wenn du daran bist, Schritte zu gehen, die du zuvor noch nicht gegangen bist? Wenn die Möglichkeit besteht, zu scheitern, entblößt, entdeckt zu werden? Oder, wenn du etwas eigentlich kannst, und du dir trotzdem sagst, du seist noch nicht gut genug, die Messlatte also extra tief hängst, damit du weniger angreifbar für Kritik wirst?

Vielleicht merkst du es schon: Es sind Momente der Verletzlichkeit. Momente, in denen etwas Neues, Unbekanntes und damit potentiell Gefährliches und Unangenehmes passieren könnte. Dein innerer Kritiker sorgt hier hervorragend dafür, dass dir das nicht passiert und du da bleibst, wo es bekannt und sicher ist. 

»Ich bin nicht gut genug« ist also tatsächlich ein »Ich habe Angst davor, nicht gut genug zu sein«. Die Lösung lautet: Es gar nicht erst versuchen. Die Angst vor dem Schmerz des nicht gut genug seins ist größer als der mögliche Gewinn, es doch zu versuchen.

Der innere Kritiker ist also nicht dein Feind. Er erfüllt – wie alles in uns – eine wichtige Funktion. Durch seine Art, sich dir mitzuteilen, schützt er dich vor einem möglichen Schmerz. Selbstkritik und Selbstzweifel sind nie die Ursache, sondern immer lediglich Symptom tiefer liegender Wunden. Sie sagen: »Passe dich an und mach dich klein, dann riskierst du nichts potentiell Gefährliches und bleibst in Sicherheit.« Und das funktioniert ausgezeichnet, richtig? 

Indem du lernst, dich nicht in den kritischen oder resignierten Gedanken zu verlieren, sondern in den direkten Kontakt mit der darunter liegenden Unsicherheit trittst, und diesen Gefühlen der Angst und Scham aus einer Haltung der Neugier, der Fürsorge und des Mitgefühls begegnen kannst, dann kann wirkliche Transformation und Heilung geschehen. 

Nun denn, wie gelingt das genau?